11
Okt
2008

...

S.Giegold brachte es auf den Punkt: Es ist eine Krise mit Ansage. Selbst ich wusste seit zwei Jahren Bescheid und meine Erwartung ist in FU eingeflossen. Nun haben wir die schwerste Finanzkrise seit 79 Jahren (obwohl es sich um relativ kleine Summen handelt) und alles spricht vom Ende des neoliberalen Zeitalters. Wollen wir es hoffen. Die scheinbar in trockene Tücher gebrachte Sicherung meiner Festanstellung geht also in einem denkbar schlechten Umfeld vonstatten- obwohl die Schwierigkeiten der Automobilbranche nur mittelbar mit der Finanzkrise zu tun haben.

27
Sep
2008

Wolfowitz

Meine Haare werden immer länger. Der Beweis: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mir einen Kamm gekauft.

26
Sep
2008

Zoo Station

Gestern im Zoo zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder Fleisch gegessen (Bratwurst). Erstaunlich schöne Anlage, mehr ein idyllischer Park, wo zwischen teilweise ziemlich durchdachten Tiergehegen immer Nischen mit Bänken zu finden sind, in die man sich mit einem Buch zurückziehen könnte. Ein Publikum aus kleinen Kindern, jungen Eltern und Rentnern, zum Glück kaum Schüler. Nicht überlaufen, obwohl das Wetter so schön war. In diesem Umfeld, das eine urwüchsige Natur simuliert, erschienen die herumtollenden Menschenkinder noch wertvoller als sonst. Dazwischen die Finken und Spatzen, die fröhlich nach Brotkrumen pickten. Ein netter Nachmittag, über sechs Stunden war ich drin. Die Tiere sind freilich erstaunlich, aber richtig verstehen kann man sie nur per Erläuterung im Fernsehen. Ansonsten ist da nur die flüchtige Bewunderung ihrer Formen und Muster und manchmal das etwas alberne Vergnügen über ihre Art sich zu bewegen. Nur die Amphibien reizen mich nicht. Man muss die ganze Vitrine absuchen, nur um ziemlich reglose Exemplare zu entdecken. Natürlich sind Paviane, die berühmten Elephanten und Löwen spektakulär (als der Sibirische Tiger sich in den Wassergraben traute, riefen die alten Damen "ooh"). Aber was die Großtiere der Ebene anbetrifft, hatte ich so meine Ahnungen, dass deren Leben dort eine Qual aus Langeweile und Unterforderung ist. Ja, das Gehege für den Tiger ist nicht klein, aber ist es auch groß und abwechslungsreich genug? Braucht so ein Jäger nicht die Möglichkeit für einen Spurt, den immer wiederkehrenden Schub Adrenalin ? Ich habe das Nashorn, die Bisons und Leoparden ihr umfriedetes Terrain in anderthalb Minuten abwandern sehen, das schien mir nicht ausreichend; ich sah auch einen sehr schönen dunkelblauen Barsch immer im Kreis um eine Gesteinsformation im Aquarium herum segeln, fast wie bei einem programmierten Bildschirmschoner. Diese Eindrücke nährten in mir den Verdacht, dass dieser ganze Zoo, der so schön in ein Wohngebiet eingebettet ist, noch immer mehr dem Menschen eine Freude ist als den Tieren.

25
Sep
2008

Fabolous

Wichtigstes Ziel derzeit: Morgens nach dem Aufstehen weder das Internet noch ein Buch aufsuchen und keine Ruhe bei den gefertigten Zeilen anderer finden, wie verlockend das auch sein mag. Stattdessen sich ans Eigene machen, kämpfen, selber schreiben. Nichts fällt mir schwerer. Dabei sind so viele so viel weiter als ich. Mittags verliert sich die Konzentration, die ich brauche, auch schon wieder. Muss den Browning beiseite legen.

Urlaub ist auch schon fast vorbei. So gut wie nichts von dem, was ich mir vorgenommen habe, verwirklicht. Es heisst, unser Vertrag soll aus organisatorischen Gründen bis Ende des Jahres verlängert werden und die Festeinstellung sei dann nur noch eine Formsache. Seltsame Wendung, leicht verdächtig. Muss mich also bis dahin doch mit der AA rumschlagen, obwohl das Ziel anscheinend in greifbare Nähe gerückt ist. Ich will ausziehen. (Schon den Flyer eines Umzugsunternehmens in Verwahrung begracht). Weiß nur nicht wohin.

Also: Morgen!

22
Sep
2008

Sozialismus für Reiche

Im Spiegel gelesen, dass sich der Vorsitzende der hessischen LInksfraktion mittlerweise in einem dunkelroten BMW durch die Gegend kutschieren lässt. Stich ins Herz.

26
Aug
2008

...

Ein Anruf von Mz. auf dem AB. Was er will, sagt er nicht. Ich schreibe eine Mail, aber er antwortet nicht darauf. Es ist wie es ist.

24
Aug
2008

Party

Warum habe ich das gemacht? Der Spaß hat mich alles in allem etwas über achtzig Euro gekostet. Jetzt, wo ich davon ausgehen muss, bald nicht mehr so viel Geld zur Verfügung zu haben, gebe ich es freizügiger aus als zu den Zeiten, als ich mit einem dauerhaften Einkommen rechnen konnte. Aber es geht nicht um die Geldverschwendung - dabei ist der Begriff Verschwendung nur auf die Bahnfahrten anzuwenden; einen Schlafsack kann man schließlich immer gebrauchen, auch wenn ich ihn mir andernfalls nicht geholt hätte - sondern um die Zeitverschwendung. Vor allem war es eine schlechte Erfahrung - und zwar in der Art, wie ich sie schon oft genug gemacht habe: Mit Menschen, die einem nichts sagen und denen du nichts zu bieten hast, einen Abend verbringen und dabei die eigene Befangenheit und Frustration ertragen zu müssen. Ich war so verzweifelt, dass ich schon nach einer knappen Stunde daran dachte mich wie ein Dieb davon zu stehlen. Auch das habe ich schon oft gemacht. Es ist immer eine schmerzhafte Sache, wenn man es mit seinen Mitmenschen einfach nicht aushält.

Diesmal handelte es sich um die Einweihung der neuen Wohung von Mz und seiner Freundin. Ich war dort völlig fehl am Platz und fühlte mich wie ein Aussätziger unter Geisteskranken. Es war beklemmend. Ich ging die Ecken der seltsam geschnittenen Wohnung ab, schätzte die Position der anderen Gäste ein und ob sie meinen Weggang bemerken würden, verfluchte das Deckenlicht, das gnadenlos jede Ecke des Flurs ausleuchtete und hielt auch schon meinen Rucksack in der Hand, fast bereit damit aus der Tür zu schlüpfen.
Letztlich schreckte ich davor zurück. Zum einen fürchtete ich mich davor entdeckt zu werden, was sehr peinlich gewesen wäre, zum anderen fragte ich mich, ob das nicht eine zu krasse Aktion sei. Das hätte im Endeffekt bedeutet, mich auf furchtbare Weise aus dem Leben meines Freundes zu verabschieden. Nachdem ich ihn seit über einem Jahr nicht mehr gesehen und kaum was von ihm gehört hatte, hatte ich den weiten Weg nach langem Zögern nur auf mich genommen, um meine Loyalität zu beweisen. Die Basis unserer Freundschaft war in den letzten zwei Jahren immer schmaler geworden. Ich wollte nicht derjenige sein, der die morsche Brücke zum Einsturz bringt.

Der Beginn einer Party ist fast immer entscheidend. Das ist wie bei einem Buch. Du spürst regelrecht über die Nackenhaare, die sich beim Eintritt in einer fremden Gesellschaft aufrichten, ob du mit der Situation gut zurecht kommen wirst oder nicht. Ich machte von der ersten Sekunde an keine gute Figur. Schon die Gegend, in die Mz und seine Freundin gezogen waren - eintönige Reihenhäuser wie Bauklötze auf einer zugeparkten hügeligen Siedlung verteilt und durch Rasenflächen voneinander getrennt - hatte einen komischen Eindruck auf mich gemacht. Nachdem die Tür hinter mir geschlossen wurde, fühlte ich, dass ich in eine Falle geraten war. Nach einer verlegenen Umarmung mit Janine stieß ich zu drei Frauen, die mir nicht gefielen, und begrüßte sie flüchtig. Dann kämpfte ich mich sogleich nach draußen auf den Rasen, wo Mz. ungeschickt mit einem Grill hantierte. Wir gaben uns die Hand, er lächelte freundlich und ich merkte, dass es im Prinzip mit uns vorbei ist.
Auf dem Balkon stand noch ein anderer Typ, wohl ein Freund von Mz., der mir völlig unbekannt war. Ich fand ihn recht unangenehm, ein verschlossener Computer-Sonderling, ein Linux-Enthusiast, der über nichts anderes reden konnte als über Server und Conventions. Ich stellte ihm einmal die Frage, wie er die Zukunft des ganzen Projekts ansah, was er merkwürdig und verdächtig zu finden schien. Wir mochten uns nicht, weil wir uns in diesem Umfeld so ähnlich wurden. Ich wollte nicht so sein wie er, so verkrampft und zurückgezogen, so langweilig, ich wusste, dass ich auf Partys glänzen konnte; er konnte das sicherlich nicht. Im Laufe des Abends platzte er nur mit einigen knappen Kommentaren heraus, die seine grundsätzliche Geringschätzung gegenüber allem was Spaß machte und populär war, demonstrierte; ansonsten schielte er nur in die Gegend herum, strich sich durchs lange spröde Haar (kurz davor hatte er noch einen Vollbart getragen) und schlürfte sein Bier.
Die Atmosphäre war recht gezwungen, Bier und Zigaretten änderten nichts daran. Bald stieß der dritte im Bunde von Mz zu uns, ein kleiner durchtrainierter Typ namens Itzig, ein Landsmann von Mz. Amüsant, aufschneiderisch und stets das Wort ergreifend und dieses lange nicht loslassend, war er der einzige, der die Party halbwegs in Gang hielt. Da ich auch zur minoritären Repräsentanz von Mz gehörte und er mich daher zu Seinesgleichen zählte, sprach er mich öfter mal an und fragte mich nach meiner Meinung, während der Rest mich ignorierte. Die einzige Person, die noch erwähnenswert scheint, war eine Frau, die eine gewisse sexuelle Ausstrahlung auf mich ausübte. Letztlich aber sollte ich sie dadurch vertreiben, dass ich ihre Sektmischung nicht mochte und ihr meine Lebensgeschichte nicht gefiel. Sie war eine albern-spöttische Spießerin, aber sie hatte schöne lange Beine. Danach nahm Itzig sie in Beschlag, aber seine plumpe Angeberei und zur Schau gestellte Virilität zogen bei ihr auch nicht.

Während der ersten halben Stunde, als die Anzahl der Gäste noch überschaubar war, gab es von allen mühselige Versuche, die Sache ins Laufen zu bringen. Die Gespräche hielten sich krampfhaft an kleinste Begebnisse, das Herumstreunen der Katzen, die Glutzeit der Kohle und die vielen Wolken mussten als Themen herhalten. Mz unterließ es, irgendwie als integrierender Faktor zu wirken. Außer dass er mir ein, zwei Mal ein Bier reichte und den ersten Satz Würstchen verkohlen ließ, trat er als Gastgeber kaum auf.
Dann strömten in kurzen Intervallen mehrere Paare und Freundinnengespanne in die Wohnung, allesamt Menschen aus Janines Kreis. Das gab der Party den Todesstoß. Janine ist ein netter Mensch, die auch so etwas wie Mitgefühl für mich empfindet (so kann man es wohl sagen), aber ihr Umfeld scheint überwiegend aus braven Pädagogikstudentinnen zu bestehen, die Theorien auswendig können und immer über Noten reden und deren Freunde genau so wenig intelligent sind wie sie. Es entwickelten sich Unterhaltungen über Tauchen, Tatoos und Kochkurse für Singles, es war grauenhaft. Um dem runden Esstisch versammelten sich die Paare, die sich untereinander kannten. Sie spießten kalte Farfelli auf, bissen in Bauguettesscheiben und ließen diskret Olivenkerne aus ihren Mündern verschwinden. Eine besonders resolut wirkende junge Frau nippte an einem Glas Weißwein, der gut zu ihrem blonden Zopf passte und sagte mit tiefer Stimme etwas, das die anderen einzuschüchtern schien. Man klagte über die Büroarbeit, den hohen Spritpreis und besonders vertrackte Prüfungen. Ich drückte mich fast nur noch an der Schwelle zum Balkon herum oder flüchtete mich auf die Toilette. Immer dachte ich an Desertion. Ich hantierte an Mzs Rechner und kundschaftete die Abfahrtszeiten der Bahn aus. Es wurde nur einmal spannend, als Itzig ein Video aus jüngeren Tagen ins Spiel brachte, in dem er und Mz sehr merkwürdig aussehen und sich benehmen würden; doch trotz des Drängens fast aller Gäste blockte Mz diese einzige Attraktion ab.

Als es von der Zeit her angemessen gewesen wäre, sich offen zu verabschieden, war die Bahnverbindung zu umständlich und ich selbst zu müde geworden, um die langwierige freudlose Fahrt auf mich zu nehmen. Nachdem ich buchstäblich Stunde um Stunde meine Flucht aufgeschoben hatte, entschloss ich mich also zu bleiben und meinen Schlafsack zu entjungfern. Ich trieb mich zumeist in der Nähe von Itzig und der Schönbeinigen herum und versuchte ihren Gesprächen, die mehr so eine Art Kampf darum waren, wer die interessanteren Aussichten und am meisten Lebenserfahrung gesammelt hatte, interessiert zuzuhören. Zwischenzeitlich hatte ich sogar mit Mz ein paar Worte geredet, in dem meine desolaten Lebensumstände nicht unerwähnt blieben; Mz hatte nichts dazu zu sagen gewusst.

Eine Stunde nach Mitternacht zog ein Großteil der Spießer wieder ab. Das wirkte ungemein erleichternd. So konnte ich es am Ende noch auf mich bringen, an dem intimeren Gesprächskreis auf dem Balkon teilzunehmen. Es wurden Witze erzählt, ich lachte auch. Man redete darüber, wieso es so viele dumme Leidenschaften und so viel Intoleranz gab, was auch grauenhaft war. Zweimal sagte ich etwas, was alle mit Schweigen quittierten.
Die Feier war schon in ihren letzten Zügen, als ich mich in meinen Schlafsack zurückzog. Mz war schon längst zu Bett gegangen. Die Schönbeinige sowieso. Ich hatte mehrere quälende Stunden nicht gerade mit Anstand hinter mich gebracht. Aber vor der heftigsten Aktion hatte ich letztlich zurückgeschreckt.

Am nächsten Morgen wachte ich als erster auf. In der Wohnung war es angenehm frisch und still, nur Mzs Schnarchen drang dumpf durch die Tür zum Schlafzimmer. Über dem Rasen schien verlockend die Sonne. Ich trank ein Glas Wasser und machte einen kleinen Spaziergang. Dieselbe Gegend, die mir bei der Ankunft noch so bizarr vorgekommen war, hatte jetzt etwas idyllisches an sich. Dann packte ich meine Sachen, nahm zwei Flaschen Bier als Entschädigung mit und verließ durch die Balkontür die Szenerie.

8
Jan
2008

Mitglied

Heute bin ich in eine Gewerkschaft eingetreten. Ich habe es nicht wirklich aus eigenem Antrieb gemacht. Es wäre aber auch falsch zu sagen, ich hätte es nicht freiwillig getan. In dem Unternehmen, in dem ich beschäftigt bin, ist es Sitte, als Arbeitnehmer der entsprechenden Organisation beizutreten. Um es direkt zu sagen: Wenn ich den Status einer dauerhaften "Beschäftigung" erzielen möchte, kann ich auf eine Mitgliedschaft nicht verzichten. Die Mitgliedskarte ist das Eintrittsbillet um dazu zu gehören. Das ist natürlich ein Aspekt, der mir als eingefleischter Individualist nicht sehr behagt. Andererseits weiß ich durchaus um die Notwendigkeit sowohl einer gewerkschaftlichen Vertretung als auch eines hohen Organisationsgrades. Doch obwohl die Gewerkschaften im Prinzip die richtige Sache vertreten und diese nicht nur in Deutschland an Einfluss verloren haben, ist jener Verband, zu dem ich nun gehöre, doch eine Institution, und Institutionen mag ich nicht sonderlich. Ich hätte es darum gerne noch hinausgezögert. Als aber mein Vorgesetzter mir das Beitritssformular vorlegte, hatte ich einfach keine Kraft zu lavieren oder gar ein Junktim aufzustellen. (Ich muss auch zugeben, dass ich einigen Respekt vor ihm habe; dabei ist er wohl kaum älter als ich und wir duzen uns). Außerdem musste ich an die Aktion des Betriebsrates denken, um die Verlängerung auch von uns Zeitarbeitern durchzusetzen. Meine Großväter waren schießlich ebenfalls in Gewerkschaften (meine Eltern widerum nicht). Um es nochmals zu betonen: Ich wurde weder gezwungen noch genötigt, zu unterschreiben, aber es war mir schon lange nahgelegt worden (auch seitens von Kollegen). Nachdem ich meine Signatur über dem Strich neben dem Datum gesetzt hatte, betonte mein Vorgesetzter mit fast schon entschuldigender Miene, dass ich ja jederzeit austreten könne.

Die Ironie an der Geschichte ist, dass ich schon lange mit dem Gedanken gespielt habe, einem politischen Verband beizutreten. Jetzt bin ich dazu angeschubst worden. Auch wenn ich nicht gerade bei meinem Wunschkandidaten gelandet, hat das vielleicht auch insoweit sein Gutes, dass ich lerne mich dahingehend zu überwinden. Aber um das Geld tut es mir schon ein kleines bisschen leid ;-)

3
Jan
2008

Neu

Ich stelle mir vor Silvester wäre eine Art Miniaturversion des kommenden Jahres gewesen. Dann wird es wohl in etwa so verlaufen: Zunächst ungewohnt, aber mehr und mehr vielversprechend verlaufend und in ein unerwartetes Hochgefühl auffahrend, bis schließlich eine Ernüchterung einsetzt, die von einem letztlich befriedigenden Ausklang abgelöst wird. Ein Abendessen mit verheirateten Paaren in einem leicht überteuerten italienischen Restaurant, das von einem Oberkellner geführt wurde, der sich wie ein überstrenger sinistrer Choreograph aufführte. Dann eine Party, die von einer legendären Lokalgröße organisiert wurde. Wenn Bohèmes und Lebenskünstler irgendetwas können, dann ist es Partys zu veranstalten, was ein nicht zu unterschätzendes Talent ist! Wir waren alle freundlich miteinander, beseelt, wollten es nicht bei dieser einen Gelegenheit belassen. Einer der Ehemänner geriet in einen eindeutigen Flirt. Ach, wenn es doch nur öfter solche Stunden gäbe... Dann kam der Schock. Die Ehefrauen täuschten meinen Freund C und mich und kutschierten uns zu einem "Lokal", wo Housemartins und Ska gespielt wurde und alle Gäste schwarz und grau gekleidet waren. Weg war die erotische Stimmung, weg die bohéme-euphorische und doch elegante Ausgelassenheit; stattdessen der nostalgische Abgesang der letzten Arbeiterjugend, Kopfgewackel statt Tanzen. 80er statt 90er, für öffentliches Vergnügen völlig ungeeignet. Als "Entschädigung" ließen wir den Abend in einer umgewandelten Werkstatt ausklingen.. Dann mit dem Taxi zu Cs Wohnung. Verdienter Schlaf. Vorher Rekapitulation dieses insgesamt gelungenen Abends. Wird sich vermutlich so nicht wiederholen.

30
Dez
2007

Mittelbare Erinnerungen (War is over - if you want it)

Weihnachten bei Muttern. Es lief besser als befürchtet. Bei der „Bescherung“ nach dem Abendessen sagte sie mir wieder, dass sie stolz auf mich sei. Es ist natürlich angenehm so etwas zu hören, ja vielleicht auch notwendig. Aber im Grunde frage ich mich, wie sie das nur sagen kann. Ich weiß, dass sie mich so akzeptiert wie ich bin und mich nicht nach Leistungen bewertet, die andere Menschen wichtig nehmen, und das ist eine bewundernswerte Eigenschaft von ihr. Aber ich kann das nicht. Auch wenn dieses Weihnachten – dessen festlicher Rahmen bei uns immer nur ganz bescheiden ausfällt: ohne Baum, ohne Süßigkeiten und natürlich ohne Gesang - nicht die immensen Frustrationen bei mir auslöste, wie in den letzten beiden Jahren zuvor, bleibt doch das Schlechte Gewissen meiner Mutter gegenüber bestehen und der Wunsch ihr mehr zu bieten als diese Abende im Wohnzimmer. Ich kehre ohne Familie bei ihr ein, ohne eine Frau, die ich liebe (oder geliebt habe), ohne Enkel. Ich komme stets mit leeren Händen und hungrigem Bauch. Aber sie scheint an so was gar nicht erst zu denken. Sie ist froh, dass sie mich hat. Und ich kann natürlich froh sein, sie zu haben. Was wird geschehen, wenn sie nicht mehr am Leben ist, wo werde ich dann Weihnachten feiern? Der Status Quo wird nicht ewig halten. Diesmal nahm er sich recht angenehm aus. Ich schenkte ihr den üblichen Katzenkalender, sie mir freundlicherweise erlesenen Tee und eine witzige, nicht ganz meinem Geschmack entsprechende Leselampe, die über einen USB-Stick angetrieben wird. Und wieder einmal Geld (das ich gar nicht wollte, aber natürlich annahm).
Nach dem Abendessen erzählte sie mir amüsante und bewegende Geschichten, über ihre Stellung als jüngste Tochter einer achtköpfigen Familie, das Leben und Sterben meiner Großeltern und meiner Onkel, Anekdoten über meinen Vater usw. - alles Dinge, die lange vor meiner Geburt passierten und mit denen ich mich dennoch intuitiv verbunden fühle; Dinge, die mich mehr anzugehen scheinen und weniger abstrakt daherkommen als die politische Geschichte, mit der ich mich so gerne beschäftige. Ich selbst bin nur noch der isolierte Abkömmling dieser nunmehr verstreuten, aussterbenden Familie (und der einzige mit Abitur) und ich tue nichts für ihren Weiterbestand, ein Gedanke, der mir noch nie so gekommen ist. Ich selbst habe diese Menschen, die für meine Mutter so wichtig waren, gar nicht oder nur kaum gekannt und die wenigen Erfahrungen, die ich mit ihnen gemacht habe, reichen alle vor meinem 15. Lebensjahr zurück! Kaum vorstellbar, dass mein Großvater, der über dreißig Jahre tot ist, mich noch selbst in den Händen hielt, während ich von ihm nur eine Erinnerung habe, die mit einer Photographie zusammenhängt. Eine mittelbare Erinnerung nur. Ich denke an ein altmodisches Farbphoto mit unnatürlichen Kontrasten. Mein Großvater und ich sind darauf zu sehen. Er in der Endphase des Lebens, ich an dessen Anfang, noch unfähig zu sitzen oder gar zu stehen. Es ist als sei dieses Neugeborene, zu dem sich mein Großvater bei seiner schon angegriffenen körperlichen Verfassung (er war pensionierter Grubenarbeiter) herunterbeugt, nicht ich, sondern ein anderes Wesen. Ich habe keinen Bezug zu diesem Moment. Das Photo gibt Zeugnis ab von der Lücke, die durch seinen Tod und mein zu junges Alter aufgerissen wurde. Nur die Erinnerung meiner Mutter ist lebendig. Und sie ist der Überzeugung, dass ich viel von meinem Großvater geerbt habe. Nur Gutes, versteht sich. Wenn es sie und dieses Photo nicht geben würde, käme mir dieser Gedanke einfach nur phantastisch vor.
So war ich also mit diesen sentimentalen und existentiellen Impulsen konfrontiert und ich war dankbar darüber (und bin es immer noch). Als ich am nächsten Tag einen Spaziergang machte, musste ich an die Anekdote denken, in der mein Vater unter recht komischen Umständen meinem Großvater erstmals vorgestellt wurde. Ich lächelte bei der Vorstellung seiner Reaktion. Trotzdem fürchtete ich von ihm gesehen zu werden, als ich an dem Haus, das er mit seiner neuen Familie bezogen hat und das einmal unser Haus gewesen ist, vorbeiging.
Nach dem Essen wurde erst der Fernseher eingeschaltet, weil am Nachmittag meine Mutter das Für und Wider eines frühzeitigen Ausstiegs aus dem Berufsleben vor mir erörtert hatte, was ebenfalls eine gute Sache gewesen war. Der köstliche Wein machte mich schläfrig, aber die Geräusche aus dem Apparat lösten eine nervöse Unruhe bei mir aus, sodass ich mich ins Schlafzimmer zurückzog und in einen von unklaren Träumen bedeckten Schlaf verfiel. Als meine Mutter zu Bett gehen wollte, tauschten wir die Plätze und ich schaute noch eine halbe Stunde lang Hitchcocks „Vögel“, während die scheue Katze auf dem Kopf der Couch lag und mich beobachtete.
Nach einem leckeren Frühstück machte ich den besagten Spaziergang durch die Parkanlage der Stadt, die ich in meiner Jugend als schön und doch langweilig empfunden hatte und lies meine Fehler Revue passieren, machte mir einen Reim daraus wie eins zum anderen gekommen war. Wieder in der Wohnung meiner Mutter sahen wir uns eine leichte Komödie an. Allein oder mit Freunden hätte ich mir das neubürgerliche Fernsehspiel niemals angetan. Jetzt aber staunte über die Ausstrahlung des Hauptdarstellers. Nach dem Abendessen fuhr mich meine Mutter zu meinem Freund F. Wir verabschiedeten uns mit einem Kuss und der gegenseitigen Mahnung auf sich aufzupassen. Ich bin gespannt, wie sie sich entschieden hat. Ich hoffe nur, ihr eines Tages mehr geben zu können als einen zufriedenen Esser und Zuhörer.

Bei F ist nun seine chinesische Freundin eingezogen. Sie werden wohl bald heiraten. J ist eine sympathische, fröhliche junge Frau mit einem, wie soll ich sagen, mädchenhaften Charme. Sie hat ein breites Lächeln, das sie dazu zwingt die Augen zusammenzukneifen, wie diese japanische Mangafiguren; sie spricht ein gutes, aber natürlich leicht eigentümliches Deutsch und kichert gerne bei Fs Erzählungen. Obwohl ihr Glück momentan ziemlich sichtbar ist, wird F nicht müde, ihr durchsetzungsfähiges Wesen zu beklagen. Ich habe davon nicht viel bemerkt, sondern dankbar festgestellt, dass auch sie für warmes Essen sorgte. Wir haben an dem Abend viel gelacht. Wir sahen uns über 650 Photos an, die die beiden während ihres Aufenthaltes in Shanghai gemacht haben. Immer wieder betätigte F den Vergrößerungsmodus, mit dessen Hilfe wir zu den Details des aufwühlenden Stadtlebens der Metropole hinabtauchen konnten. Die Photoschau wurde ergänzt mit witzigen und spannenden Geschichten, vor allem über Js Familie. Ihre Eltern scheinen sehr nette Menschen zu sein, wie ich wehmütig feststellen durfte; sie strahlen dasselbe aufgeschlossene und fröhliche Wesen aus wie ihre Tochter. Besonders beeindruckt hat mich – neben vielen anderen Dingen – das Bankett, das zu Ehren von Js Geburtstag arrangiert wurde. Um die reichlich gedeckte kreisrunde Tafel saßen von den Speisen und dem Alkohol beseelte Menschen, ein für mich paradiesischer Zustand. F war vor allem mit der Einhaltung der chinesischen Tischsitten beschäftigt gewesen, was man an den zahlreichen Photos erkennen konnte, auf denen er mit den Verwandten anstieß (wobei es wichtig war, dass er das Glas immer unter das seines Gegenübers hielt, was zu komischen Unterbietungswettbewerben führte).
Letztendlich habe ich Fs Reise mit Vergnügen nachemempfunden. Einiger seiner Geschichten werde ich nicht vergessen. Und wieder stelle ich das bewegte Leben der beiden dem meinigen gegenüber. Es ist schon eindeutig, dass fast alle Fortschritte gemacht haben, außer ich. Das gilt nicht zuletzt für meine Mutter. Aber ich kann mich für sie mit freuen. Mehr bleibt mir momentan auch nicht übrig. Weihnachten ist eine Zeit, wo ich Bilanz ziehe. Sie fällt sehr, sehr lau aus, aber nicht katastrophal. „Auch du wirst einmal mit einer Frau zusammenziehen“, sagte F, als er mir darlegen wollte, womit man dann zu rechnen habe. Ich werde an seine Worte denken. So oder so.

16
Dez
2007

Eine Unterschrift

Es war am Ende eine echte Zitterpartie, aber ich darf meinen Job für die nächsten neuneinhalb Monate behalten. Inmitten einer turbulenten und arbeitsintensiven Woche, die von widersprüchlichen Gerüchten und einem viertägigen Überstunden-Streik gekennzeichnet war, entschied sich mein Schicksal und das weiterer Kollegen, von dessen glücklichen Ausgang wir erst während der Betriebsversammlung am Mittwoch in Kenntnis gesetzt wurden. Die deutsche Konzernleitung traute sich nicht, die schließlich verfügte Verlängerung von zwanzig Zeitarbeitsverträgen allein zu verantworten, sodass noch die Spitze der Europa-Abteilung um Bestätigung ersucht wurde, was seit fünf Jahren nicht mehr vorgekommen war (wenn ich das richtig verstanden habe). Dazu bedurfte es noch zwei Tage des Abwartens. Als alles in trockenen Tücher war, ging dann die lang ersehnte Vertragsunterzeichnung recht schnell vonstatten (ich benutzte den Plastikkugelschreiber meiner Kollegin H.). Auch die innig erwartete Inbesitznahme neuer Sicherheitsschuhe, die ich von dieser Unterschrift abhängig gemacht hatte, war natürlich ein ziemlich unspektakulärer Akt.

Überhaupt habe ich bislang kaum Zeit gehabt, mich über den Erfolg zu freuen, da ich die eilig bewilligten Überstunden am Samstag auch noch mit abgeleistet habe (quasi zwangsläufig). Ich glaube, ich bin gestern um acht Uhr abends eingeschlafen, weil ich von alldem so erschöpft war. Doch bald schon kommt die Doppelwoche Weihnachten-Neujahr, in die nur zwei Arbeitstage fallen. Da finde ich hoffentlich genug Zeit zu entspannen und nachzudenken. Von Mitte Februar an habe ich fünf (vielleicht sogar sechs) Wochen Urlaub; spätestens da muss klar werden, was für eine Überlebenschance unser Stück hat und was ich als nächstes in Angriff nehmen werde. Ich kann die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise erst mal entspannt verfolgen. Meine Miete wird ebenfalls steigen, aber ich erwarte dafür eine Einstufung in eine höhere Lohngruppe. Ich weiß, dass ich von der „Arbeitsgemeinschaft“ mindestens siebzehn Monate verschont bleiben werde. Spätestens Ende August fängt aber das große Zittern wieder an. Bis dahin muss ich gelernt haben, mich weniger zu verausgaben.

Ich kann noch lange nicht von einer Stabilisierung sprechen, höchstens von einem taktischen Erfolg. Es steht zu befürchten, dass ich weiterhin im Status Quo verharren und keine Schritte aus der Isolation heraus unternehmen werde. Eines aber steht fest: Ich möchte nicht mehr so viel an die Arbeit denken müssen, sondern die wenigen Angelegenheit, die mir wirklich am Herzen liegen, wieder intensiv verfolgen, damit meine Zukunft nicht völlig von einer eventuellen Festanstellung abhängt. Auf Dauer wäre eine solche Arbeit nämlich keine Lösung. Wie gesagt, es handelt sich nur um einen Aufschub.

9
Dez
2007

Money makes the world go 'round

Aus leicht nachzuvollziehenden und völlig legitimen Gründen habe ich den Löwenanteil meiner Ersparnisse abgehoben, eine für mich nicht unbedeutende Summe (so viel Geld habe ich in meinem Leben noch nie besessen).
Nach Beendigung der Aktion frage ich mich, was für eine Beziehung zum Geld an sich ich habe. Ich glaube, sie ist von Pragmatismus und Freiheit geprägt: Ich bin beileibe nicht geldgeil, aber arm möchte ich auf Dauer natürlich nicht sein, obwohl es nicht schadet, mal für eine Zeit auf seine Ausgaben genau achten zu müssen. Seitdem ich meinen befristeten Job ausübe, hat es mir allerdings immer ein gewisses Vergnügen bereitet, die Summe auf meinen Konten beharrlich wachsen zu sehen. In den letzten drei Monaten haben sich meine Ausgaben merklich vergrößert, aber im Schnitt kam immer noch mehr „rein“ als weggegeben wurde. Noch immer bin ich der Meinung, mit Geld umsichtig umzugehen und es nur dann auszugeben, wenn ich wirklich den Eindruck habe, es sei nötig. Allerdings komme ich nach fast jeder Einkaufsaktion zu dem Schluss, etwas übers Ziel hinaus geschossen zu sein -nicht so sehr deshalb, weil das unerwartet große Minus beim Zahlenstand sich eins zu eins in Emotionen umsetzen lässt, sondern vor allem darum, weil mir das ganze Dasein als Konsument nicht mehr geheuer ist (obschon ich mich längst nicht davon habe emanzipieren können). So besitzt der (seltene) Einkauf von Klamotten, Haushaltsgegenständen und Dekorationen immer einen unguten Nachgeschmack – nur beim Kauf von Büchern gehe ich zumeist recht ungeniert vor. Ich spende auch ab und zu, obwohl es mir akut weh tut bzw. gerade weil es weh tut – danach aber stellt sich eine gewisse Befriedigung, um nicht zu sagen Selbstgefälligkeit ein, die den Effekt beim Konsum von zumeist überflüssigem Zeug bei weitem übertrifft. Ansonsten spare ich vor allem deshalb mein Vermögen an, weil ich nicht weiß, was die Zukunft noch bringen wird – der typische Effekt, der sich bei einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik nun mal millionenfach einstellt.

Das Geld musste also vom Konto und daher unmittelbar in meine Hände gelangen. Mal wieder war die Schlange in der Postbank-Filiale unglaublich lang, die Schalter unterbesetzt, auch wenn die anwesenden Mitarbeiter sich Mühe gaben, schnell und freundlich die Wünsche der Kunden abzuwickeln. Außerdem setzte der Tresor zeitweise aus und die Online-Verbindung zur Zentrale funktionierte nicht richtig. Der mich bedienende Angestellte war sichtlich gestresst und benahm sich recht albern. Er stieß beim Bedienen seines Terminals eilige Verwünschungen aus oder sog zischend Luft durch die Zähne und rollte mit den Augen. Keine günstige Atmosphäre für den Batzen Geld, den ich zu erhalten erwartete. Während der Mitarbeiter hin und her flitzte, flüsterte er mir die Frage zu, dabei den Mund mit seiner Hand beschirmend, ob ich möglichst große Scheine haben wollte, was ich natürlich bejahte. Es gab aber nur Hunderte, die ihm eine Kollegin auf recht unbedarfte Weise, also gut sichtbar, bündelweise in die Hand drückte. Der Postbank-Angestellte machte ein unzufriedenes Gesicht und ließ das Geld in die Hosentasche verschwinden, wo es bis zur Übergabe seine Hüfte wärmte. Nachdem die Formalien endlich über die Bühne gebracht worden waren, zählte er die ganzen Hunderte zweimal vor mir herunter, wobei er jeweils nach zehn Scheinen seinen Daumen über einen Briefmarkenanfeuchter (rosafarbener Schwamm in grünem Zylinder) strich. Dieses raschelnde Daumenkino machte mich ganz schwindelig. Wenn er geschickt und hinterfotzig gewesen wäre, hätte er mich ganz leicht übers Ohr hauen können. Erst als ich skeptisch das Bündel neben mein inzwischen ausgebreitetes Portemonnaie stellte, kam er darauf, mir einen schmucklosen Din-A-5 Umschlag anzubieten, worin ich die grünen Scheine stopfte. Allmählich wünschte ich mir, Augen im Hinterkopf zu haben, die getarnt durch die Haare hindurch nach ungebetenen Blicken spähen konnten. Auf meinen Schultern lastete so ein ungutes, lauerndes Gefühl, ganz so wie der Ladendieb, der mit der Ware aus der Tür tritt und damit rechnet vom Kaufhausdetektiv gepackt zu werden. Als ich mich vom Tresen wegdrehte, fiel dem Angestellten ein, dass er mir noch nicht mein Sparbuch wieder ausgehändigt hatte. Zum Abschied bekam ich noch ein Hustenbonbon überreicht („die schmecken gut“).
Ich war heilfroh, aus der Filiale zu kommen, aber der Haufen Scheine, der sich in meiner Wundertüte beulte, schien mir zu unpraktisch. Allerdings gönnte ich mir den Kitzel, mit den Fingern über die Banknoten zu streichen.

Um den Batzen zu verkleinern, ging ich anschließend zur nahe gelegenen Filiale der Deutschen Bank, wo sich rasch ein ähnlich nervöses Szenario entwickelte, als plötzlich hinter mir sich eine mächtige Schlange bildete. Eine attraktive Türkin Anfang 30 hatte ein Problem mit der Geheimnummer ihres Lovers und brachte den Betrieb dieser anscheinend ebenfalls unterbesetzten Zweigstelle ins Stocken. Der junge Mitarbeiter war schon längst ins Schwitzen gekommen, als er mein Geld in der Zählmaschine steckte (die mir wieder viel zu indiskret platziert war) und die Scheine gleich zweimal unter eine Schwarzlichtröhre hielt, um zu prüfen, ob er sich nicht Blüten einhandelte. Vor allem war er sich nicht sicher, ob der Tresor, der sich auf Kniehöhe unter dem Tresen befand, genug Wechselgeld hergeben würde. Dann verrechnete er sich auch noch einmal zu meinen Ungunsten, aber schlussendlich bekam ich dieselbe Summe mit weniger, größeren Scheinen retour. (Im Nachhinein betrachtet habe ich das Gefühl, dass er unbeabsichtigt seine eigene Bank geschädigt hat, weil er meiner Erinnerung nach wieder zu dem Haufen Hunderter, den ich gewechselt haben wollte, griff, um die Summe zu komplettieren. Aber das muss eine Fehlleistung meinerseits sein) . Auf dem Nachhauseweg wedelte ich befreit und belustigt mit dem Umschlag, dessen Leichtigkeit in einem betörenden Missverhältnis zum Wert seines Inhalts stand.

Zu Hause angekommen, wollte ich mich für einen Moment dem sinnlichen Eindruck des Bargeldes hingeben. Ich musste mich zwingen, die Rollos an meinem Fenster nicht herunter zu lassen. Schnell hatte ich das ganze Repertoire großer Scheine auf dem schwarzen Deckel meines Notebooks (auf dem ich gerade tippe) aufgefächert vor mir liegen: Was für ein schöner, bunter Strauß das war! Diese Variation ungewöhnlicher Farbtöne zeigten deutlich, wie herrlich und fröhlich das Leben in Reichtum doch sein muss. Ich muss zugeben, dass mich beim Anblick dieser Summe typisch bürgerlicher Stolz erfüllte: Das war der Lohn für meine Arbeit, das Blut, das ich brauchte, um zu leben. Und dennoch: Das war nur Papier: ein Windstoß konnte es leicht davontragen, um in alle Richtungen und unerreichbare Höhen zu entschwinden. Man musste es gut festhalten. So steckte ich es wieder in den glanzlosen Umschlag, um nicht allzu versessen zu werden von diesem nurmehr flüchtigen Anblick. Zu viel Geld schadet dem Charakter und weckt ungebetene Begehrlichkeiten.

6
Dez
2007

Isabeli

Es sind die Tage, an denen Isabeli Fontana die Gegend unsicher macht. Auf stilsicher photographierten und erstaunlich erotischen Plakaten dominiert sie die städtische Landschaft, macht Werbung für die hübsch anzusehende Unterwäschekollektion eines Textilimperiums (Kapitalismus mit halbgöttlichem Antlitz) und präsentiert uns Normalsterblichen den Glanz der Reichen und Schönen, den das werbende Unternehmen allerdings zu scheinbar annehmbaren Preisen anbietet ("Push Up 9,90") . Vermutlich soll nicht nur das männliche Geschlecht angelockt werden durch die sexuelle Ausstrahlung dieses brasilianischen Models, sondern vor allem sollen die Frauen dazu animiert werden, das plakatierte Vorbild nachzuahmen, um ihren Partnern eben jenen Traum zu bieten, der uns allerorten vor Augen geführt wird. Um das zu tun, müssten sie nur das Produkt kaufen. Immer noch besser als der abgenutzte Komödiant, der für eine Elektrohandelskette in klischeehafte Rollen geschlüpft ist, die er auf widerlichen Plakaten zum Besten gibt, wobei kein einziges uns von seinen riesigen, erstickenden Augen verschont. Den Blick der Fontana aber lasse ich mir gerne gefallen. Sie sieht den Passanten mit einem romantisch angehauchten Verlangen an, während ihr triumphaler Körper in ein Arrangement aus bronzefarbenen Laken gebettet ist, die sie wie ein Zelt umschließen. Dieser Hintergrund schafft ein perfekt austariertes Szenario, wie ich finde, sehr stimmungsvoll, glamourös und gemütlich zugleich. Direkt vor meiner Haustür mein Lieblingsmotiv: Isabeli kniet mit gerecktem Oberkörper auf dem Laken, greift mit ihrem schönen linken Arm hinter ihr Haar und hält mit der Rechten ihren noch schöneren Fuß. Ihr Bauch mit der pikanten Erhebung seines Muskels ist einfach nur wunderbar. Man könnte meinen, ihr entweicht ein leiser, aber unüberhörbarer Laut, eine Anordnung, die in eine Bitte gehüllt ist und der ich sofort Folge leisten würde.
Überall rekelt und streckt sie sich, in jeder U-Bahn-Station, wo sie zwischen den hässlichen Säulen und vor den widerlichen Kacheln prangt, und das in Dimensionen, dass ich fast in ihren Schoss eintauchen, den Duft ihrer reinen, warmen Oberschenkel genießen könnte. Nachts in der Bahn sitzend kann ich in den Fenstern die Spiegelung der gegenüberliegenden beleuchteten Werbeflächen sehen, sodass ihre Schönheit mir nachzufolgen scheint wie ein Traumbild. Aber es ist nur Fassade, nur Kommerz, nur billiges Ködern – nur ein Anreiz, der mich dazu bringt, mich vom wahren Leben unter Wert behandelt zu fühlen. Ich kann froh sein, wenn diese Kampagne ein Ende findet. Aber vermutlich werde ich Isabeli vermissen.

2
Dez
2007

Miese Woche

Ich bringe gerade eine anstrengende Woche hinter mich. Sie begann mit einem ereignislosen Wochenende und wird vermutlich auch so enden. Dazwischen lagen Tage voll quälender Gedanken, gezeichnet von Ansätzen von Verwahrlosung und geprägt von beunruhigenden Anzeichen was meine Zukunft anbetrifft. Vielleicht wird dies die Woche sein, in der jener Auflösungsprozess begann, der meinen Hoffnungen ein Ende bereitete (ich weiß nicht, was mir dann noch helfen kann). Oder sie wird als das letzte denkwürdige Tief vor einer Serie guter Monate in meine Geschichte eingehen.

Ich ergänzte die psychische Belastung – zunächst von der Auseinandersetzung mit meinem Partner herrührend – mit körperlichen Kraftakten bei meiner Arbeit, sodass ich oftmals zerschlagen nach Hause kam, unfähig irgendwas zu tun, außer meine kleine Wohnung weiter zu verschmutzen und im Bett herumzulungern. Der Konsum von Cannabis direkt nach Feierabend, das heißt am Nachmittag, also zu einer für mich ungewöhnlichen Zeit, machte mich orientierungslos und unkonzentriert, sodass ich an drei Tagen nichts weiter tat als vor dem Fernseher zu hocken (nahezu vor diesem Apparat zu Kreuze zu kriechen), obwohl mich das Programm anwiderte und verstörte. Die blitzkriegschnellen Bilder der Werbeindustrie, die zumeist hohlköpfigen Serien für die Damenwelt und die eintönigen Krimisendungen machen mich regelmäßig krank im Kopf. Wenn dann noch die "Simpsons" versagen, geht eigentlich nichts mehr. Aber ich musste weiterschauen, weiter hin und her schalten, weil ich mit meinen Gedanken nirgendwo hin konnte, es sei denn, ich fand mal für eine Dreiviertelstunde die Kraft, ein Buch zu lesen. (Es war immerhin „Die Geburt der Dritten Welt“ von Mike Davis, ein hochlöbliches, erhellendes Stück Geschichtsforschung).

Der Leser wird anhand dieser Zeilen rasch feststellen, dass ich ein einsames Leben führe. Ich muss zugeben, dass die Situation festgefahren ist. Der erste Versuch eines Befreiungsschlags in Form eines Umzugs in eine andere Stadt hat mich nur weiter in die Isolation getrieben, die schon ein beängstigendes Ausmaß angenommen hat. Es gibt Zeiten, da komme ich mit der Situation gut zurecht, obwohl der Wunsch, ihr ein Ende zu setzen, stets das Leitmotiv meiner Gedanken ist.

Viele Menschen sind einsam. Es ist kein schönes Thema, genau so wenig wie eine Krankheit. Wer von ihr infiziert wurde, muss selbst damit klar kommen. Und der Befallene will auch meist nicht über die Krankheit reden. So geht es mir. Ich bin einer dieser Gestrandeten im öden Meer der Anonymität, das vom Kapitalismus geschaffen wurde. Ich begnüge mich mit dem Auswerfen von Flaschenpost. Man kann natürlich nicht nur dasitzen und auf Rettung hoffen, aber es fällt mir immer noch unheimlich schwer mich aufzuraffen und Maßnahmen zu ergreifen. Ich weiß nicht mal, wo ich ansetzen soll – außer jenen mühevollen Weg zu beschreiten, den ich mir selbst ausgewählt habe, dessen Begehung mir aber weiterhin unglaublich schwer fällt. Es ist natürlich nie zu spät, glücklich zu werden, aber die objektiven und subjektiven Strukturen, die in die Einsamkeit führten oder von ihr erzeugt werden, behindern mich wie eine schwierige Erblast, die man scheinbar nicht so leicht los wird. (Ich kann verstehen, wenn andere dies als Humbug abtun).

Es gibt Momente, da glaube ich, zumindest eine momentane Erleichterung erleben zu dürfen, und die dann ins Gegenteil umschlagen, weil die sich anbahnende Möglichkeit einfach wieder verschwindet. Auch dies geschieht nur allzu oft anhand der gleichen Muster. Da war bspw. Ms Anruf. Sie schafft es, zu Zeitpunkten auf sich aufmerksam zu machen, wo ich am allerwenigsten mit ihr rechne, obwohl ich öfter als mir lieb ist an sie denke. Sie beweist somit ihre Existenz, nur um gleich wieder in die Versenkung zu verschwinden. Dabei lässt sie mich mit den amourösen Versprechungen, die sie in winzigen, aber wirkungsvollen Dosen andeutet, wieder allein. Das ist nun schon das dritte Mal, das dies so abgelaufen ist. Nachdem ich monatelang vergeblich auf eine Nachricht von ihr gewartet habe, ruft sie also an, bittet mich um ein Treffen, welches sie dann bald darauf wieder absagt mit der Beteuerung, kurzfristige Termine noch in petto zu haben. Dann passiert nichts mehr. Man kann das mit einem aufkommenden Niesreiz vergleichen, der wieder abflacht und ein unbefriedigendes Gefühl hinterlässt. Dieses Jahr haben wir uns nur einziges Mal gesehen. Sei's drum. Ich will ja gar nicht mehr auf sie warten. Selbst wenn wir uns träfen, würde sich vermutlich nichts ändern; ich würde sie doch nicht dorthin kriegen, wo ich sie haben möchte. Diesmal aber habe ich wohl geglaubt (wenngleich mit einer gewissen Zögerlichkeit), das Timing spräche für mich: Ich war aus diversen Gründen selbstbewusster als sonst, bis diese Woche dann die beschriebene Umkehr erfolgte. Für mich gibt es keinen günstigen Zeitpunkt, es gibt für mich keine Glückssträhne, Rückschläge lassen sich nie lange bitten. M ist wie ein Köder, nach dem ich immer wieder schnappe, um mir Enttäuschungen einzuhandeln. Zuerst wollte ich es nicht wahrhaben, aber ihre Absage, die mir zunächst nicht viel bedeutete, war für mich wie eine Absage des Schicksals und beeinflusste nachchaltig die miese Stimmung, die fast die ganze Woche über anhielt.

Zuvor war da die schon oben erwähnte Auseinandersetzung mit Mk. Auch hier lohnt es sich nicht, en détail darauf einzugehen. Abgesehen von meiner grundsätzlichen Ablehnung seiner Änderungsvorschläge, die unbefriedigende Umsetzung seiner Vorstellungen sowie dem kurzfristigen Stress wegen des nachträglichen Verhandlungsbedarfs, löste der Konflikt bei mir neue Zweifel an unserem Projekt - wir schreiben ein Theaterstück - aus. Zweifel, die ich in den Monaten, in denen wir endlich mal einen Fortschritt erzielten, fast vergessen hatte. Nun sind jene Zweifel just in dieser Woche von einer dritten Person, einer (arbeitslosen) Lektorin mit Germanistikstudium, teilweise bestätigt worden. Es handelt sich um eine Freundin von Mk. Erstaunlicherweise hat ihr Urteil ihn kaum beunruhigt und seine Entschlossenheit anscheinend nur verstärkt - er spricht davon, dass wir für unser Projekt „kämpfen“ müssten. Er hat einen stärkeren Glauben daran als ich, obwohl ich dringendere Erwartungen daran knüpfe. Ich bilde mir auch ein, die Schwächen unseres Werks klarer zu sehen, so wie ich mir auch einbilde, besser dafür gesorgt zu haben, dass die Qualität zumindest vielversprechend ist.

Um das Verzeichnis der Sorgen zu komplettieren, seien die sich in diese Woche verdüsternden unklaren Zukunftsaussichten hinsichtlich meines Arbeitsplatzes erwähnt. Ungünstige Prognosen mischten sich mit den eigenen aufkommenden Ahnungen und erstickten den Optimismus der vorangegangen Wochen. Es kann sein, dass ich im Januar wieder „freigesetzt“ werde. Ich weiß es nicht; es ist die Politik der Firma nichts zu sagen, solange es nicht unvermeidlich ist (meistens lässt sie dann einfach die Fakten sprechen). Diese Ungewissheit ist fast noch schlimmer als die Aussicht bald wieder arbeitslos zu sein. Nicht, dass ich all die mir zur Verfügung stehende Muße anfangs nicht genießen würde; aber allein die Vorstellung vom Druck, den staatliche Stellen auszuüben imstande sind, macht mich nervös. Das sehr wohl befriedigende Einkommen, an das ich mich in den letzten Monaten gewöhnt habe, wäre futsch, obwohl ich eine schöne Menge angespart habe (meine „Kriegskasse“ wie es nenne) und so ein gewissen Schutz besitze. Nicht zuletzt aber würde ich bald am Übermaß an Freizeit kranken, weil ich leider nichts mit mir anzufangen weiß (außer Bücher zu lesen) und keine neuen Kontakte geknüpft habe.

Es kann also sein, dass ich im Januar 2008 genau so weit bin wie im Januar 2007: ohne Job, ohne Frau, ohne künstlerische Perspektive– und das könnte ich kaum ertragen. Wenn ich an Weihnachten vor dem Fernseher meiner Mutter mich zu Tode langweile, werde ich daran denken, dass es im Jahr davor und auch davor genau so war und die Aussichten gleichbleibend trübe sind. Da kann man doch mal Verständnis dafür haben, dass ich bei dieser früh einbrechenden Dunkelheit und den Schmerzen in den Gelenken, die mich neuerdings bei nasskaltem Wetter befallen, resigniere und mich treiben lasse. Mittlerweile habe ich meine Wohnung zu weiten Teilen auch wieder aufgeräumt, habe das Geschirr gespült, das Fernsehkabel abmontiert, meinen alten Freund C getroffen und zumindest diesen Eintrag hingekriegt. Wenn der Leser mich dafür nicht loben will, dann tue ich es halt selbst.
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